Ein enger Blick

Statt Filmkritik mal ein Grundsatzartikel: Das deutsche Kino hat ein Problem damit, die Gesellschaft in ihrer Realität und Diversität abzubilden. Ein Essay im Freitag.

PDF: Ein enger Blick

 

Ein Leserbrief:

Lieber Frank Schirrmeister,

über ihren Artikel“ Ein enger Blick” habe ich, langjährige Sonntag- und Freitagleserin, mich heute sehr gefreut. Abschnitt für Abschnitt blieb ich aufgeregt und fühlte mich in meinem Wunsch nach einer Filmlandschaft, die sich realen Konflikten des Alltags oder des politischen Lebens auf eine Weise annimmt, die authentisch erlebbar ist, Identifikation wirklich ermöglicht und auch wenn es in Verruf gekommen ist, Lösungen anbietet.

Ich gehe seit meinem 10. Lebensjahr, bin 60, mit großer Leidenschaft in Filme, die die Möglichkeit bieten, zu staunen, Erfahrungen zu vergleichen und voraus zu denken, oder mich mit anderen, nicht nur den Figuren ,sondern auch denen, die die Filme gestalten, zu identifizieren, es war mir immer Welterfahrung und darum großer Genuss. Ich habe das Glück, trotz Provinz im Ort ein sehr gutes, engagiertes Kino zu haben, und die Berlinale besonders im Forum und Panorama ist für mich seit Jahren  ein Auftanken und ein Freudenfest der Möglichkeiten.
Und eben darum  bedrückt mich seit Jahren die von Ihnen benannte Verarmung des Kinos im Anspruch sich einzumischen, politische Tragweite zu wagen, konsequent auch Lösungen zu denken und anzubieten, nicht platt narrativ, sondern in der Anlage des Konzepts, in den Konflikten und lebendigen Figuren, das muss fiktiv-surreale Momente nicht ausschließen. Petzolds Filme dürfen eben nicht allein stehen… Dresens Filme sind auch hier immer gut besucht, und die Leute bleiben berührt beim Abspann sitzen.
Nun war ich ein wenig ausschweifend..
Eigentlich wollte ich noch einen Gedanken weitertragen. Meine Tochter hat in Babelsberg Montage studiert und ich denke, Sie haben Recht, trotz politischen Engagements fehlt vielen Studenten die Erfahrung existentieller Bedrohung. Aber ich weiß auch, Sie kommen mit Feuereifer in das Studium und ich stelle mir vor, dass es notwendig wäre, sie dort deutlicher zu leiten, sie auch mehr zu lehren, sie nicht so sich selbst zu überlassen.Sie aus dem Um sich selbst kreisen heranzuführen. Das wäre, glaube ich, eine wichtige Aufgabe, gleichzeitig erfordert das ein Ausbildungskonzept und wohl auch Autorität. “Konrad Wolf “war nur noch sehr rudimentär spürbar, oder für die Studenten nicht erreichbar…. Ich weiß, dass das sehr umstritten ist, aber ich finde klare Positionierungen von Filmhochschulen wäre ein lohnender Versuch, um den Blick wieder zu weiten. Ob meine Tochter mir zustimmen wird, weiß ich gar nicht so genau.

Auf jeden Fall danke ich Ihnen für den Artikel und auch dafür, dass er mich ermutigt hat, Ihnen zu schreiben.

Gespannt auf Kokon
grüße ich Sie herzlich

Written by web136